Maria Weber

Der Bombenleger

Maria Weber in Aktion: Probleme löst sie, indem sie sie direkt anpackt – die Lösung kommt beim Tun.

(Bild: privater Nachlass Weber, AdsD/FES)

 

Sie ist Gewerkschafterin der IG BCE der ersten Stunde. Seit den 50er Jahren macht sie Karriere im DGB – und ist in den 70er Jahren eine der spannendsten Figuren der politischen Gewerkschaftsbewegung: Linkskatholikin, politisch schwarz und nach Ansicht ihrer Begleiter der "einzige richtige Kerl" im Deutschen Gewerkschaftsbund. Explosive Situationen scheinen wie für sie geschaffen.

 

Von  S t e f a n  R e m e k e

25. Juni 2022 / Lesedauer etwa 5 Minuten

 

Diesen Artikel teilen

Maria Weber umgab eine besondere Aura. Sie hatte Strahlkraft und zog die Aufmerksamkeit geradezu magnetisch an. Es gibt sie, diese "magischen" Menschen, die einen Raum betreten und ihn sofort mit ihrer Persönlichkeit beherrschen, die andere in ihren Bann ziehen. Und es ist in der Regel schwierig, rational zu erklären, warum diese wenigen so wirken und die meisten von uns eben nicht.

 

Für Maria Weber könnte man allerdings einige Mutmaßungen anstellen, warum gerade sie eine so starke Außenwirkung erzielte. Zuerst auffallend war wohl ihre offene, selbstbewusste und ganz und gar unerschrockene Art. Eine Episode aus ihrem Alltag macht das anschaulich: 

 

An einem Werktag in den frühen siebziger Jahren eilte Georg Neemann, selbst Mitglied des Geschäftsführenden Bundesvorstandes des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), aufgeregt in die Büros im Hans-Böckler-Haus, der Zentrale des DGB, die sich damals noch in Düsseldorf befand. Hektisch wies Neemann alle Anwesenden an, das Gebäude möglichst schnell durch die Tiefgarage zu verlassen. Was war geschehen? Beim Pförtner der DGB-Zentrale hatte ein unbekannter Mann nachdrücklich darum ersucht, die "hohen Herren" zu sprechen. Er wisse, dass sich im Gebäude eine technische Anlage für Fernsehübertragungen befinde, die er dazu nutzen wolle, der Welt eine wichtige Mitteilung zu machen. Falls seinem Wunsch nicht nachgekommen werde, wolle er die Bombe, die sich in seiner Tasche befinde, zur Explosion bringen. 

 

Daraufhin suchte der Personalchef des Hans-Böckler-Hauses nach den anwesenden Vorständen. Allein Georg Neemann und Maria Weber befanden sich im Hause, der "höchste Herr" war also eine Frau – Maria Weber nämlich, die zu diesem Zeitpunkt bereits stellvertretende DGB-Vorsitzende war. Man muss sich bewusst machen, dass die Angst vor terroristischen Akten in Westdeutschland damals erheblich war. Später trat auch bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Hans-Böckler-Haus eine gewisse Routine bei den sich wiederholenden Bombenalarmen ein, so dass auf dem Weg nach draußen die letzten Briefe im Treppenhaus zu Ende diktiert wurden. 

__________________________________________________

"Wenn es richtig rund geht,

dann ist Maria in ihrem Element..."

__________________________________________________

 

Dem geb' ich Bombenlegen

 

Als Maria Weber und Georg Neemann miteinander besprachen, wie sie vorgehen wollten, lag also durchaus nicht auf der Hand, wozu sich Maria Weber spontan entschloss. Mit den Worten "Wo ist der Bombenleger? Dem geb’ ich Bombenlegen" soll sie Neemann aufgefordert haben, sich um die Evakuierung zu kümmern, während sie selbst geradewegs zum Pförtner eilte, um den Übeltäter in Augenschein zu nehmen. Ohne Aufhebens zu machen, stellte sie sich dem Mann vor und verwickelte den mutmaßlichen Bombenleger in ein Gespräch, bis die in Zivil anrückenden Polizisten ihn in einem unachtsamen Moment überwältigen konnten. In der Tasche, so stellte sich schließlich heraus, befand sich kein Sprengstoff. Aber dies konnte niemand, auch nicht Maria Weber, wissen. 

 

Es war halt ihre Natur, Probleme gleich welcher Art sofort anzugehen und an der Wurzel zu packen. Direkt und fokussiert ging Maria Weber auf ihr Ziel zu, hielt sich mit den möglichen Schwierigkeiten nicht lange auf und vertraute auf die Lösung in der Konfrontation: beim Anpacken der Probleme. Diese ihre selbstbewusste und zupackende Art brachte ihr bald den Ruf ein, der "einzige richtige Kerl" im Vorstand des DGB zu sein.

 

Die männlichen Attribute, mit denen man die Persönlichkeit von Maria Weber wiederholt zu beschreiben versuchte, waren dabei offenbarend: nicht allein in Bezug auf Maria Weber, wohl aber ebenso für ihr Umfeld, in dem sie wirkte. Allein schon als Frau in Führungsposition – und sehr lange Zeit als sehr junge Frau im Vorstandsrang – war sie in einer von Männern bestimmten Gewerkschaftswelt eine vielbeachtete Erscheinung. Und als Frau, die ihren Weg unbeirrbar ging, gleich umso mehr.

 

  

Mehr über Maria Weber 

und über das

 

ANDERS
LINKS
SEIN

 

 

Die schweren Arbeiterjungs und "Miss Marple"

 

Gerade wegen ihres anscheinend abweichenden Verhaltens gewann sie schließlich auch die Anerkennung vieler männlicher Kollegen einschließlich der "schweren Arbeiterjungs" von Kluncker über Loderer bis Vetter, die begriffen, dass Maria Weber wenigstens auf Augenhöhe agierte. Das bei Männern gelegentlich zu beobachtende Verbrüderungsritual mit Kontrahenten, die man nicht zu dominieren vermochte, fand auch bei Maria Weber statt. Sie entsprach augenscheinlich nicht den männlichen Erwartungen an vermeintlich "weibliche" Eigenschaften von Sanftmut bis Empathie. Und sie war eine Frau, die sich aufgrund ihres Naturells nicht unauffällig verhielt.

 

Einer ihrer engen Kollegen hat es einmal treffend so formuliert: "Wenn es richtig rund geht, dann ist Maria in ihrem Element, dann merkt sie, dass sich etwas tut, dass sie in ihrer Arbeit wieder einen Schritt weitergekommen ist. Dann wird ihr Kampfgeist hellwach, und die Beobachter, die ihr bescheinigt haben, sie sei der einzige Mann im DGB-Vorstand (...), fühlten sich wieder bestätigt. Diesen Ruf verdankt sie ihrem Engagement, ihrer Kraft, die sie aufbringt, wenn sie gegen den Strom schwimmt (...)." 

 

Gegen den Strom zu schwimmen war in der Tat Maria Webers gewerkschaftliche Lebensaufgabe: als politisch "Schwarze" und als Katholikin in den Gewerkschaften, aber ebenso als linke, rote Gewerkschafterin in der CDU oder in der katholischen Kirche. Und da sie keinen unauffälligen "Schwimmstil" hatte, sondern Wellen schlug, registrierte man sie – zwangsläufig. Gepaart mit einer "Miss Marplehaften" äußeren Erscheinung, im Trägerrock oder im Kostüm mit Brosche, häufig mit leicht toupiertem Haar, hatte sie in der Gewerkschaftswelt auch in der Außenwirkung ein Alleinstellungsmerkmal. Dies erklärt ein Stück weit ihre Aura, von der ehemalige Kollegen oder Kontrahenten bis heute von tief beeindruckt bis tief verängstigt berichten.  

 

Heute vor 20 Jahren ist Maria Weber in Essen verstorben. Es lohnt sich in vielerlei Hinsicht, an diese in Vergessenheit geratene politische Gewerkschafterin zu erinnern. Dabei ist "Der Bombenleger" mehr als nur eine Anekdote. Die Begebenheit veranschaulicht präzise, wie Maria Weber politisch arbeitete und agierte: offensiv, angstfrei, die Konfrontation suchend – und man könnte mit einem Augenzwinkern und auf den konkreten politischen Fall angewandt ergänzen, dass Maria Weber mit ihrer speziellen politischen Aktionsweise manchmal selbst zu einer "Bombenlegerin" im übertragenen Sinne geworden ist. Dafür gibt es im Wortsinne hochspannende Fallbeispiele.

Diesen Artikel teilen

Zitation

Stefan Remeke: Maria Weber – Der Bombenleger, Version 1.1, in: herb. Beiträge zur Geschichte der Arbeitswelt – Das Webjournal der agentur für historische publizistik, 25. Juni 2022, letztes Update vom 29.12.2022.

__________________________________________________

Lesen Sie als Fortsetzung:

__________________________________________________

 

 

Eine Gewerkschafterin

gegen Stoiber und Strauß

Von der Kunst

der Provokation

 

Beim Empfang im kleinen Kreis gab Maria Weber unumwunden zu, dass sie sich an diesem Nachmittag "doch wohl parteischädigend" geäußert habe. Bereits am nächsten Morgen stand ihr Telefon in Essen nicht mehr still. Unionspolitiker wetterten gegen die Aufmüpfigkeit der Gewerkschafterin.

 

Von  S t e f a n  R e m e k e

14. Dezember 2022 / Lesedauer etwa 6 Minuten

 

Lesen Sie hier weiter...